GESCHICHTE

In Luzern und Bern waren junge Leute dem Beispiel des Velokuriers vorangegangen, das gab den Impuls, es auch in Biel zu versuchen. Am 22. Oktober 1991 waren rund 20 Personen anwesend, als im «Grüene Huus» der Verein Velokurier Biel gegründet wurde, mit dessen Hilfe am 1. April 1992 der eigentliche Betriebsstart erfolgte.

«Wir waren befreundet, fuhren gerne Velo und wollten uns für unseren Lebensraum, für unsere Umwelt engagieren.» – Der Velokurier Biel war von Anfang an kein Projekt grosser Business-Pläne.

DIE ERSTEN JAHRE

Die Zeit der frühen Neunzigerjahre war eine rezessive Zeit. Auch für die fünf fest angestellten Velokuriere jener Zeit waren dies betriebswirtschaftlich karge Jahre minimaler Stundenlöhne von wenig mehr als fünf Franken. Doch die Velofahrer hielten durch, für sie zählten schon damals Ausdauer viel und materielle Umstände eher wenig.

1994 ein Umbruch: Hans Ulrich «Huk» Köhli wird Geschäftsleiter und passt sein Konzept der Stadt Biel an, einer Stadt, die zu klein ist, als dass der Velokurier sich einzig auf Transporte mit dem Velo konzentrieren könnte. Man erweitert die Palette der Kurier-Dienstleistungen, offeriert den Blumenläden reduzierte Transport-Preise zu bestimmten Block-Zeiten, bringt den Kunden ihre Lebensmittel nicht nur nach Hause, sondern kauft diese auch ein und lanciert den Holiday-Service, weil man merkt, dass Kunden, die einen persönlich kennen, es durchaus schätzen, dass während den Ferien jemand auf ihre Katzen aufpasst oder die Pflanzen giesst.

Solche Nischen zu beackern, Nischen des kleinen, aber für den Velokurier überaus heterogenen Raumes von Biel, sich schnell den Unebenheiten des Kurier-Marktes anzupassen und sich materiell nach einem bescheidenen Plafond zu richten, scheinen wichtige Gründe für den Erfolg zu sein. Der Velokurier Biel ist bis heute ein Kleinunternehmen, das kaum hierarchische Stufen kennt und wesentlich davon lebt, dass seine Kuriere sich freundschaftlich begegnen.

BIELER «CHESSU» UND GREEN CARE TRUST IN INDIEN

Bis 1999 waren die Konzerte im Bieler «Chessu» eng mit dem Velokurier verbunden. Ideell wollten sich die Velokuriere an der kulturellen Vielfalt der Stadt beteiligen und wirtschaftlich waren die Erträge der Jugendkonzerte ein bedeutender Aktivposten des Velokuriers. Dass im «Chessu» heute noch Jugendfeste stattfinden, ist auch der Initiative des Velokuriers in den Neunzigern zu verdanken.

Kontakt schloss «Huk» in Indien. In Masinagudi, im Südwesten des Landes, unterstützt man seit 1997 finanziell die Umweltorganisation Prakriti, heute Green Care Trust, ein Schweizer Verein, der sich in diesem Landesteil Indiens für Aufforstungen und für die Erhaltung der Tiervielfalt einsetzt.

SWISSCONNECT: VELOKURIER SCHWEIZWEIT

Schweizer Velokuriere vernetzten sich dank der SBB schon 1994. Das Prinzip des Velocity-Städteservice, heute: Swissconnect, war so einfach wie sofort erfolgreich und zugeschnitten auf die Schweiz, wo das Netz des öffentlichen Verkehrs dicht und zuverlässig ist und ihrer starken wirtschaftlichen Vernetzung entspricht.

Ein Beispiel: Der Velokurier Biel holt die Eilsendung eines Kunden in Nidau ab, dies zwanzig Minuten, nachdem der Kunde dem Velokurier telefoniert hat, bringt sie zum Bahnhof und lädt sie in den Zug nach Basel ein. Nach nicht viel mehr als zwei Stunden hat der Kollege des Basler Velokuriers die Ware dort ausgeladen und sofort geliefert. Zeitschinderei, gewiss, aber sie zahlt sich aus, wenn Konkurrenz nachzurücken versucht – so wie mit dem Paket, das subito in Basel ist, auch wenn es nur Schmiermittel für die Druckmaschine enthält, die Prospekte für die Uhrenmesse druckt.

Swissconnect ist heute ein eigenständiges Logistik-Unternehmen, das zwar im Verbund mit Schweizer Velokurieren gewachsen ist, das sein Netz aber mehr und mehr verfeinert hat und inzwischen auch mit Taxi-Unternehmen zusammenarbeitet. Seine Transportbedingungen sind vertraglich mit der SBB gesichert.

WIRTSCHAFTLICHE BLÜTE, UMZUG, NEUES LOGO

Der Boom der Neunziger und der Nullerjahre bis 2003 stärkte auch den Velokurier Biel. 2004 löste er sich von der engen Partnerschaft mit dem «Grüenen Huus» und zog in die Bieler Altstadt um. Einher ging dieser Schritt mit einem neuen Logo, einem einheitlichen Corporate Design in schwarz, rot, weiss, so wie Bielerinnen und Bieler es heute kennen. Unternehmerisch gesehen, wurde der Velokurier Biel mit der neuen Zentrale am Ring 13 und mit dem markanten Trikot mit Feuerball sehr viel eigenständiger.

Weiter, schwerer: So, wie es in den ersten Jahren vor allem Kleintransporte waren, die den Kurieralltag bestimmten, so sind es heute mehr denn je Sendungen, für die der Velokurier dank Swissconnect schweizweit den Transport organisiert, und sind es heute Daueraufträge und schwere Lasten um die 20 kg. Der Velokurier beliefert täglich mehr als zehn Schul- und Kinderkrippen in Biel und Nidau mit Mittagessen.

Für den Velokurier Biel arbeiten heute 21 Leute, viele in Teilzeit. Drei seiner Velokuriere, Huk, Tatjana und Pascal, sind seit mehr als 25 Jahren dabei. Das bürgt für Konstanz und Treue im Kontakt mit dem Kunden, was der jährliche Umsatz belegt, der in den letzten Jahren immer bei etwa 800'000 Franken lag.

ÖKONOMIE, ÖKOLOGIE

Was bis heute geblieben ist, das ist der Anspruch, in Biel und Agglomeration innerhalb einer Stunde nach Anruf abzuholen und zu liefern, im Zentrum von Biel schon ab 11 Franken. Was bleibt, das ist auch der Anspruch, Mobilität nicht per se, nicht als Voraussetzung zu sehen, sondern Lebensraum zu schonen, Transportmittel effizient zu kombinieren: wann immer möglich mit dem Velo zu fahren und für Sendungen schweizweit den öffentlichen Verkehr zu benutzen.

Dass der Velokurier seine Arbeit liebt, weil er sich bewegt und dabei oft verausgabt und ihn die Technik seiner leichten Maschine interessiert, mag ausschlaggebend dafür sein, dass der Velokurier Biel in den letzten Jahren zwar mit einem Elektrovelo experimentierte, dass es aber bisher – sag niemals nie! – bei diesem Versuch blieb. Der Velokurier käme gewissermassen aus der Übung und wäre wohl bald nicht mehr, was er gerne ist: solide, wagemutig.

Lakonisch könnte man sagen, der Velokurier sei ein Lückenbüsser. Sein Anspruch, der Schnellste zu sein, zwingt ihn auch dazu, immer dann einzuspringen – in die Lücke zu springen –, wenn niemand sonst es macht, niemand sonst es schafft.

2012 HAT ALLES: XX UND DIE SCHWEIZER MEISTERSCHAFT FÜR VELOKURIERE

Die Party zuerst: Am 19. April 2012 feierten wir in der Alten Krone 20 Jahre Velokurier Biel – kurz: XX. Ein Fest mit Musik und Küche, ein Fest auch, das einmal mehr eines war, weil Velokuriere noch andere Projekte pflegen: Tatj ist DJane Sanguine und John bringt die Cantine Mobile mit.

Am «Bicycle Sunday» des 24. Juni 2012 wärmten sich die Velokuriere auf: An einem Alleycat, einer Art Orientierungs- und Posten-Rennen mit dem Velo, konnte teilnehmen, wer ein Fahrrad hatte. Anstelle des Workout im Freien zeigte das Filmpodium an diesem Abend Filme – wie könnte es anders sein! – zum Thema Velo.

Mit dem Velokurier waren die Bieler vor zwanzig Jahren bei den ersten; 2012 schliesslich war Biel auch Ort der 19. Schweizer Meisterschaft für Velokuriere (Suicmc 2012) und das Centre Bahnhof Coop auf der Südwestseite des Bieler Bahnhofs, das Gebäude, das für General Motors bis 1975 Produktionsstätte war, vom 7. bis zum 9. September 2012 Schauplatz der Wettkämpfe.

All das haben wir auf Film.

VELOKURIER GMBH

Auf den 1. Januar 2014 wird die Einzelfirma unter der Ägide von Hans Ueli Köhli überführt in eine GmbH, Pascal Aebi und Daniel Werder übernehmen die Co-Geschäftsleitung. Nach den ersten sieben Jahren erfolgt 2021 die Rochade, weil sich Dani Werder aus beruflichen Gründen zurückzieht; neu ziehen Lukas Hartmann und Pascal Aebi den Karren.

URBAN LOGISTICS UND BULLITT

2017 sind wir mit Swissconnect nicht nur beim Transport same-day schweizweit führend, sondern hat das Gremium um Urban Logistics, Basel, die Idee der Feinverteilung in den Zentren durch führende Velokuriere der Schweiz konkretisiert. Urban Logistics bietet schweizweit tätigen Firmen die Verteilung in urbanen Zentren zu einheitlichen Konditionen.

Deutlich erweitert hat sich in den letzten Jahren die räumliche Komponente: Wir transportieren heute genauso gut, genauso gerne schweizweit, wie wir das in Biel und der näheren Umgebung schon lange tun. Dies einerseits. Anderseits werden wir heute der Nachfrage, auch Schweres von mehr als 20 kg und Voluminöses, Sperriges zu transportieren, besser gerecht und fahren mit dem Lastenvelo Bullitt.

GAV 2019

Der Arbeitgeberverband Swiss Messenger Logistics (SML) und die Gewerkschaft Syndicom einigen sich auf einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für Velokuriere in der Schweiz, was europaweit eine Premiere ist. Der GAV tritt am 1. Mai 2019 in Kraft; er sichert die Arbeitsbedingungen der Branche und soll ein Instrument gegen Dumping-Plattformen und Billigkonkurrenz sein. Der GAV setzt auf Mindeststandards der Branche und sichert den Velokurieren einen Mindestlohn und einen Vaterschaftsurlaub und regelt Pikettdienste und Einsatzpläne mit einer 42,5-Stunden-Woche.

Covid-19

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 und insbesondere während den zwei Shutdowns verändert sich unsere Auftragslage temporär drastisch. Einerseits fallen viele der Transporte zwischen Firmen oder Lieferungen für Schulen weg, anderseits intensivieren sich die Kontakte zu medizinischen Labors, Testzentren, Arztpraxen und Apotheken. Schnell zeigt sich, dass wir dank den Qualitäten des dichten Velokuriernetzes schweizweit – schnell, zuverlässig, sicher und äusserst flexibel Kleintransporte durchzuführen – einen Beitrag leisten zur Gesundheit der Bevölkerung.

Bicycle Sunday 2022

30 Jahre Velokurier Biel und ein Mega-Event.

(Film: Sarah Waeber)